David J. Rauschning
Die Kunst der Auslassung
Geleitwort von Thomas Schäffer, Geschäftsführer nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH
Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal den von nordmedia geförderten Film Auf der anderen Seite von Fatih Akin sah. Die intensive Geschichte ebenso wie die starken Bilder hatten mich schnell in ihren Bann gezogen. Auffällig war besonders deren ruhiger und konzentrierter Fluss. Und wie bei den anderen geförderten Akin-Filmen schon vorher gab es auch hier dieses gute Gefühl, dass die Förderung sehr gut angelegt war. Und dieses Gefühl wurde bestätigt durch zahlreiche Preise, darunter auch für das beste Drehbuch und den besten Schnitt: Nicht zuletzt diese Auszeichnungen weisen auf ein deutliches Merkmal des Films hin. Er ist letztendlich erst in der Montage, im Schnitt zu dem geworden, was ihn erfolgreich machte. Das gilt mehr oder weniger für jeden Film - hier aber in besonders eindrücklicher Weise. Denn - wie Fatih Akin selbst betonte: "... und dann habe ich mit meinem Cutter (Editor) Andrew Bird nach dem Buch geschnitten. Im Schnitt haben wir festgestellt, dass das überhaupt nicht funktioniert ..." (1) Im Schnitt und nicht nach dem Drehbuch entstand der Film. Den Drehbuchpreis in Cannes nennt er selbst eine Ironie, denn die Jury hatte zwar den Film gesehen, wohl aber nicht das Buch gelesen. Was hier als leise Kritik an der Entscheidungsfindung von Juroren anmutet, sollte auch den Förderer nachdenklich stimmen. Schließlich liegt naturgemäß einer Produktionsförderung vor allem das Drehbuch zugrunde. Abgerechnet wird bekanntlich zum Schluss - und das Beispiel unterstreicht deutlich, welche zentrale Rolle neben Aspekten wie u.a. Regie, Kamera, Cast oder Musik vor allem die Montage für das Ergebnis und schließlich für den Erfolg eines Films spielt. Was also wird am Ende zu sehen sein und was eben nicht? Die erzählte Zeit ist nicht die Erzählzeit. Welche Ergänzungen entstehen erst in der Vorstellung des Rezipienten? Wie und wodurch werden sie angeregt bzw. induziert? Wie entsteht so in der Beteiligung, im Erleben des Zuschauers die Gesamtgestalt des Films? Eine besondere Kunst im Schnitt und ein wesentliches Gestaltungsmerkmal ist hier die Auslassung. Der Filmminimalist Robert Bresson bringt es auf den Punkt: "Man erschafft nicht, indem man hinzufügt, sondern indem man wegstreicht." (2) Die Auslassung ist als Phänomen in der Literatur, der Malerei oder der Musik bereits vielfach diskutiert und besprochen - für die Analyse temporaler Gestaltung im Film aber stellt sie noch eher einen blinden Fleck dar. Umso mehr ist zu begrüßen, dass David Jeremy Rauschning sich des Gestaltungsmittels der zeitlichen Auslassung mit der vorliegenden Arbeit annimmt. Neben der theoretischen Auseinandersetzung bietet das vorliegende Buch - nicht zuletzt durch zahlreiche Praxisbeispiele - ein wertvolles Rüstzeug für den Praktiker. Die besondere Leistung dabei ist sicherlich, dass hier erfolgreich der Anspruch verfolgt wird, eine adäquate Sprache zu finden und die unterschiedlichen Mittel zu verbalisieren. Das gelingt auf eine gleichsam unterhaltsame wie fachlich versierte Art und es gelingt im Besonderen in der ungewöhnlichen und einzigartigen Ausgestaltung dieses Buches. Eine Bereicherung für jeden Förderer, ein Lesespaß für jeden Interessierten ein Muss für jeden Filmemacher.
(1) www.taz.de/!5167/30.08.2013
(2) Bresson, Robert (2007): Notizen zum Kinematographen. Aus dem Französischen von Andrea Spingler und Robert Fischer (Berlin: Alexander Verlag), S. 79.
erschienen im Herbert van Halem Verlag